Faszination Wimmelbildspiele
Kaum ein Genre unter Computerspielen hat einen solch trashigen Ruf, wie das der Wimmelbildspiele bzw. Hidden Object Games.
Warum ist das so? Liegt es an der Historie, dass viele Wimmelbildspiele als kostenlose Demo angeboten wurden, die dann nur gegen Echtgeld fertig gespielt werden konnten? Oder weil die Suche nach Gegenständen wenig Action bietet? Hidden Object Games wird nachgesagt, in der Regel extrem repetitiv zu sein. Eine flache, unrealistische Story oben drauf gepackt.
Trotz all dieser Vorurteile haben Wimmelbildspiele eingefleischte Fans. Unter den verschiedenen Titeln finden sich auch durchaus grafische Kunstwerke, bei denen der Hype zumindest auf der künstlerischen Ebene nachvollzogen werden kann.
Werfen wir dennoch einen Blick auf ein nicht ganz alltägliches Gaming Nischen-Genre.
Definition Wimmelbildspiele
Was ist so ein Wimmelbildspiel überhaupt? Grob kann man dieses Genre als Subkategorie der Rätsel und Puzzlegames sehen, übergeordnet wäre der Begriff Casual Games.
Ein reines Hidden Object Game besteht aus zweidimensionalen Szenen, die überladen sind mit Gegenständen, Formen und Umrissen. Innerhalb dieses Durcheinanders muss der Spieler festgelegte Objekte finden, indem sie angeklickt werden.
Heute bieten diese Games aber zusätzlich noch weitere Rätsel, um den Spieler bei Laune zu halten. Beispielsweise Memory oder Schieberästel. Häufig kommt es auch vor, dass ein Rästel fast unlösbar knackig ist. Und das nicht, weil es besonders durchdacht wäre, sondern eher weil es auf stupiden Lösungswegen basiert, die aber nicht immer ineinandergreifen wollen.
Ein weiterer Anreiz ist das Sammeln von getarnten Gegenständen außerhalb der Hidden Object Szenen. Die Wimmelbildspiele setzen dabei auf den Sammlertrieb des Rezipienten, der das Spiel möglichst perfekt abschließen möchte. Damit dies gelingt, werden diese zusätzlichen Gegenstände eingebaut, für deren Auffinden wiederum Achievements vergeben werden.
Zwischen den Rätselszenen befinden sich storyrelevante Handlungsorte, in welchen Gegenstände versteckt sind, oder Objekte zum Interagieren bereitstehen. Durch das Lösen der Wimmelbildszenen und den Fortschritt in der Handlung gelangt man schließlich ans Ziel. Meistens bieten Hidden Object Games nach Vollendung der Hauptstory noch kurze Nebenstories als Extra an.
Historie
Das erste Hidden Object Game für ältere Spieler wurde etwa um das Jahr 2005 von Big Fish Games entwickelt. Es hieß Mystery Case Files: Huntsville und war an ein Detektiv-Konzept angelehnt. Zuvor gab es Hidden Object Games nur für Kinder als Zielpublikum. Dort aber mehr als Lernspiel, bei denen Worten Objekten zugeordnet werden. Der Rätselaspekt und die seither typische Grafik entstand erst mit Big Fish Games.
Das Wimmelbildgenre erwies sich zu der Zeit ziemlich schnell als Verkaufsschlager. Es zog so nach und nach weitere Entwicklerstudios an, die ihre eigenen Serien in Produktion brachten. Beispielsweise entstand 2006 das polnische Studio Artifex Mundi, die auch heute noch für grafisch ansprechende Hidden Object Games stehen.
Früher wurden diese Games so vertrieben, dass für Nutzer die ersten 2-3 Rästel kostenlos spielbar waren. Wer aber weitermachen wollte, musste dann die Vollversion des Games erwerben.
Ästhetisches Konzept
Die überladenen Szenen üben einen gewissen Reiz auf den Rezipienten aus und spielen mit seiner Wahrnehmung. Vergleichbar ist das Konzept mit Suchbüchern wie „Wo ist Waldo?“. Dort soll auf einer Doppelseite, welche mit Menschenmassen und Objekten übersät ist, eine bestimmte Person mit rot-weiß gestreiftem Pulli und Mütze gefunden werden.
Beim Wimmelbildspiel ist das ähnlich, nur müssen hier zahlreiche Gegenstände im Chaos erkannt werden. Diese werden entweder als Wort, z.B. Schere, vorgegeben, oder deren Umrisse sind als Hinweis gestellt. (Fun Fact: Da viele Hidden Object Games in Englischer Sprache entwickelt werden, die kleinen Entwicklerstudios aber gerne an Übersetzungskosten sparen, ergeben sich oft frustrierende Fehler: „Bat“ kann sowohl eine Fledermaus, als auch ein Baseballschläger sein. Wählt der Entwickler nun die falsche Übersetzung, kann der deutschsprachige Spieler lange im Wimmelbild nach dem gesuchten Objekt fahnden)
Im Game sieht die Suchlandschaft aber etwas anders aus, als im Buch: Optische Täuschungen gehen einher mit unrealistischen Verstecken für die Objekte. Die Szenen wirken teils mysteriös verspielt, teils wie ein Messie-Haushalt. Die versteckten Objekte verschmelzen mit der Szenerie. So integriert sich ein Bleistift so homogen in ein Tischbein, dass selbst beim zehnten Mal Darüberschauen das Versteck nicht offensichtlich wird. Auf eine feste Perspektive und korrekte Größenverhältnisse kann der Spieler also nicht setzen.
Im Spieler soll der Drang geweckt werden, Ordnung in das System zu bringen und das Chaos zu überlisten. Auch das Spiel mit der Wahrnehmung ist ein Anreiz, nicht auf die optischen Tricks hereinzufallen. Dies ist eine unausgesprochene Herausforderung für den Rezipienten des Games und erhält die Langzeitmotivation.
Storykonzept
Als Storykonzept haben sich einige Settings herauskristallisiert, die besonders gerne für Wimmelbildspiele verwendet werden.
Einerseits Detektivspiele, in welchen Protagonist_innen einem Verbrechen auf der Spur sind. Ein Beispiel dafür wären die Mystery Case Files (Big Fish Games).
Außerdem finden sich eine große Anzahl fantastischer Geschichten aus Sagen und Mythen. Um diese in eine mehr oder weniger reale Begebenheit zu übertragen, starten die Stories eines solchen Settings z.B. in einem Museum, bei einer Forschungseinrichtung oder sind eingebettet in einen Familienfluch, den ein Nachkomme aufklären möchte. Beispielsweise handelt es sich in Nightmares from the Deep 2 (Artifex Mundi) um den Piraten Davy Jones, in dessen sehr frei interpretierten Fluch eine Liebesgeschichte zwischen dem Unterwasserbewohner und einer Meerjungfrau eingewoben wurde. Diese ungewöhnliche Liebe wird von einer Museumsleiterin, zufälligerweise spezialisiert auf Piratenausstellungen, vor dem Fluch des Davy Jones beschützt.
Zuletzt haben sich auch diverse „Trash-Horror“ Settings dazu gesellt. Beispielsweise Angst (Big Fish Games) wäre dieser Beschreibung zuzuordnen.
Viele Rezipienten bemängeln bei der Story allerdings oft die Schlüssigkeit. Manchmal wirken die Geschichten zu absurd, um sie über die Rätsel hinaus genießen zu können. Besonderen Ärger verursachen die Gegenstände im Game. Findet man beispielsweise einen Schraubenzieher, verbraucht er sich nach einmal benutzen. Wo er doch sicher im Verlauf des Spiels nochmal nützlich sein könnte. Auch werden Gegenstände oft so dermaßen zweckentfremdet, dass der Fortschritt im Game schon daran scheitert, weil man als Rezipient einfach nicht hinter diese Logik blickt, welche absurden Kombinationen angewandt werden sollen.
Dennoch lässt sich hier derselbe Effekt feststellen, den auch Trash-Movies wie Sharknado erzielen. Gerade weil die Story und die Interaktionen so unglaublich schlecht gemacht sind, kehren Spieler immer wieder zu ihnen zurück und steigern so die Beliebtheit. Das hat zur Folge, dass weitere Hidden Object Games innerhalb desselben Dunstkreises entwickelt werden. Ein Beispiel dafür wären die Grim Tales (Elephant Games), eine ziemlich unglaubwürdige und verworrene Geschichte rund um die Familie Gray, von denen es mittlerweile über 17 (!) Teile gibt.
Rezeption
Hidden Object Games wird nachgesagt, überwiegend weibliche Spielerinnen anzusprechen. Teilweise führt man dies auf das mystische, oft romantische Storykonzept zurück, in welcher die Rätsel eingebettet sind. Als ein anderer Grund wird genannt, dass Frauen neben Job und Familie gefühlt weniger Freizeit haben und die übrige Zeit dann auch nicht in extensive Games stecken, sondern sich kürzeren Werken zuwenden. Wimmelbildspiele haben oft nur 3-4 Stunden Spielzeit inklusive aller Rätsel. Wie stichfest diese Behauptung ist, kann aufgrund fehlender Statistiken allerdings nicht nachvollzogen werden.
Was allerdings auch im Selbstversuch festgestellt werden kann, ist die hohe Anzahl an weiblichen Protagonistinnen. Der Charakter, der die Geschichte im Hidden Object Game durchwandert, ist in den hier auch bildlich vertretenen Beispielen (Enigmatis, Nightmares from the Deep, The Great Gatsby…) eine Frau. Das steht stark im Kontrast zu anderen Game Genres, in welchen überwiegend männliche Protagonisten handeln (z.B. Bioshock, Just Cause, Uncharted…) und könnte eine weitere Erklärung für die Beliebtheit unter weiblichen Rezipienten sein.
Plattformen
Wimmelbildspiele haben einen großen Vorteil: Sie sind aufgrund der simplen Spielmechanik auf verschiedenen Plattformen spielbar. Sie funktionieren sowohl am Computer, als auch auf Tablets und Konsolen. Einzig ein großer Bildschirm ist nützlich, wenn man die Objekte gezielt erkennen möchte.
Aussicht
Hidden Object Games sind nach wie vor ein Nischenprodukt, das nur eine sehr kleine Zielgruppe hat und so wirkt, als würde es aussterben. Der ehemalige Erfinder des Genres bietet zwar noch alle seine Titel an, neuere Spiele werden jedoch nicht mehr entwickelt. Die letzte News Meldung im Big Fish Blog ist bereits aus dem Jahr 2018.
Auf Steam erscheinen regelmäßig Neuauflagen älterer Wimmelbildspiele verschiedenster Entwicklerstudios, sehr selten Neuentwicklungen. Das zum Zeitpunkt dieses Artikels aktuellste Game ist Der Geheimbund 8 (Artifex Mundi), welches am 30. Januar 2020 veröffentlicht wurde.
Literaturquellen:
- The Mystery of the Hidden Gamer: Women, Leisure, and Hidden Object Games – Shira Chess, University of Georgia, 2013.
- The History of Hidden Object Games: An Interview with Patrick Wylie, VP of Big Fish Studios – 2013.
Bildquellen:
- Big Fish Games: Mystery Case Files – Huntsville – Screenshot der offiziellen Website
- The Great Gatsby: Secret Treasures, Enigmatis 3, Nightmares from the Deep 2, Portal of Evil: Eigene Ingame-Screenshots