Funktion von Musik in Computerspielen
Wenn über die Funktion von Musik in Computerspielen gesprochen wird, sind sich die Meisten über eine einheitliche Kategorisierung uneinig. In der Literatur gibt es zwar zahlreiche Ansätze, die der Gamemusik bestimmten Funktionen zuzuordnen, aber fast jeder nutzt dafür ein eigenes Ordnungssystem. Das liegt einerseits daran, dass die Funktionen nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden, sondern oft gleichzeitig auftreten. Andererseits daran, dass Funktion und Wirkung vermischt beschrieben werden. Es gibt daher keine vorgefertigte Nomenklatur, unter der jegliche Gamemusik eingeordnet wird.
Auch wir werden im Folgenden versuchen, unsere Ansicht in Kategorien zusammenzufassen und damit für den ein oder anderen die Musik in Computerspielen verständlicher zu machen.
1. Funktion von Musik in Musizierspielen
Beginnen wir mit einer Kategorie, bei der die Funktion von Musik noch am einfachsten beschrieben werden kann. Das sind sogenannten Musizierspiele, wie beispielsweise „Guitar Hero“, „Singstar“ oder „Let’s Dance“. Bei diesen übernimmt der Spieler die Rolle eines Künstlers und kann entweder mit der Stimme, Bewegungen oder Tastenfolgen eine Sequenz auslösen. Diese bringt in Folge Punkte ein, je nachdem, wie nah die Darbietung am vorgegebenen Original ist. Die Musik ist hierbei der Kern des Spiels. Ohne sie wäre das Game inhaltslos.
Allerdings wird in Musizierspielen entgegen dem was der Name eigentlich verspricht, keine eigene Musik erzeugt. Vielmehr löst der Spieler durch seine Aktionen Sequenzen von bereits existierenden Musikstücken aus. Es erklingen Aufnahmen von bekannten Musikern. Diese werden mehr oder weniger verzerrt wiedergegeben, was davon abhängig ist, wie stark die Eingaben des Spielers der Optimallinie im Game ähneln. Für Musizierspiele existieren spezielle Eingabegeräte, Controller oder Tastatur und Maus sind hier fehl am Platz. Es gibt Mikrofone, berührungsempfindliche Tanzmatten, Bewegungssensoren und sogar nachempfundene Instrumente, welche aber statt Saiten oder Klaviatur Gamepadtasten haben. Der Spieler erlebt durch das Zusammenspiel von Instrument, Eigeninitiative und dem akustischem Feedback die Musik fast so, als würde er sie real erzeugen.
Funktion der Musik: Spielgrundlage, Interaktionsmedium, Erzeugung von Realität
2. Kann Musik helfen?
Neben den Musizierspielen gibt es noch weitere Game Genres, welche den Einsatz von Musik alle auf ähnliche Art und Weise betreiben. Daher wird im Folgenden nicht weiter in Genres, sondern in die Funktionen unterteilt. Genrespezifische Stilmittel werden dennoch erwähnt.
Musik kann zunächst als Unterstützung eingesetzt werden. Wie ist das gemeint? Der Spieler kann durch Musik und Sound akustische Hinweise erhalten, die ihm helfen sollen, die Situation auf dem Bildschirm besser zu beurteilen. Diese Funktion gibt es primär in Shooter- und Horrorgames, sowie in Strategiespielen.
In Strategiespielen wie „Age of Empires“ gibt es kurze Sirenen oder Kampfhorn Einblendungen, wenn irgendwo auf dem Bildschirm eigene Einheiten angegriffen werden. Das soll dem Spieler helfen, den Überblick zu behalten und im Fall des Falles die Aufmerksamkeit auf die Stelle zu richten, wo es brennt. Generell ist bei Strategiespielen das Bild überladen mit Informationen und die visuelle Wahrnehmung des Spielers gut ausgelastet. Überall stehen Gebäude und es wuseln die Einheiten umher. Die akustischen Warnsignale entlasten das Auge und lagern die Aufgabe auf das Ohr aus.
Bei Shootern und Horrorgames gibt es außerdem sogenannte danger states und safety states.
a) Danger State
Der danger state kennzeichnet dabei einen Moment der Gefahr und ist auch akustisch so untermalt. Das passiert mittels hektischer Musik und anderen Geräuschen, die erfahrungsgemäß mit Gefahr assoziiert werden. Beispielsweise ertönt eine Sirene, das Spiel blendet übertrieben laute Herzschläge ein oder es erklingen schaurige Geigendissonanzen. Dieser Sound soll dem Spieler auch akustisch verdeutlichen: Achtung, jetzt solltest du besonders aufpassen!
Der danger state kann auch mit der Psyche spielen. Das kann z.B. in „Bioshock“ hautnah erlebt werden. Wer zum ersten Mal Bekanntschaft mit den Little Sisters und ihrer gefährlichen Begleitung, den Big Daddys macht, hat zunächst harmloses Kinderlachen im Ohr. Das verbindet die Erfahrung erstmal nicht mit Gefahr. Kinder sind schließlich harmlos. Allerdings tritt schnell der Lerneffekt ein, dass bei auftauchendem Kinderlachen Rückzug vorerst eine gute Option ist. Mit den Big Daddys ist nicht zu spaßen.
b) Safety State
Der safety state ist das genaue Gegenteil davon. Er kennzeichnet durch ruhige, sanfte Klänge oder plötzlicher Stille, wenn eine Gefahr vorüber ist. Auch hier sind Horrorspiele wieder besonders gemein: Der safety state wird gerne für die Anzeige von vermeintlicher Sicherheit genutzt, nur um kurz danach einen fiesen Jump-Scare zu bringen. In „Dead Space“ beispielsweise wiegt sich der Spieler bei Stille in Sicherheit, obwohl das außerirdische Monster hinter der Spielfigur unmittelbar zum Angriff ansetzt.
Ein Paradebeispiel für einen safety state findet sich in „The Evil Within 2“, ebenfalls aus dem Horror Genre. Der gedankliche Safe Room des Hauptcharakters lässt sich durch zerbrochene Spiegel in der Welt betreten. Diese Spiegel können aus der Ferne gehört werden, denn es erklingt von Claude Debussy „Clair de Lune„. Ein Klavierstück, das eine harmonische, romantische Nacht im Mondschein darstellen soll. Das passt für einen stafety state wie die Faust aufs Auge.
Funktion der Musik: Unterstützung, Orientierung, Danger State / Safety State
3. Mit Musik fühlt es sich besser an
Eine weitere, offensichtliche Funktion von Musik im Game ist das Schaffen von Atmosphäre, bzw. die Emotionalisierung des Spielers vor dem Bildschirm. Das was neben dem Visuellen Reizen zu Hören ist, kann verschiedene Stimmungen und Gefühle auslösen. Allerdings kann Musik die virtuelle Welt auch lebendig und authentisch erscheinen lassen. Hier lässt sich auch erklären, dass die Funktionen nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden können. Der gerade genannte safety state kann sowohl die Unterstützungsfunktion innehaben, als auch gleichzeitig eine Emotionalisierung bewirken.
a) Atmosphäre durch Musik
Um der virtuellen Gamewelt durch Sound eine Atmosphäre zu verpassen braucht es nicht viel. Schon Unterschiede im Tempo, Klangfarben spezifischer Instrumente, die Arbeit mit Dissonanzen oder die Auswahl der Tonart haben einen Einfluss darauf, wie eine Umgebung im Spiel emotional und räumlich wahrgenommen wird. Ein Horrorspiel kann allein durch den Einsatz von Dissonanzen, also schief klingenden Tönen, eine gespenstische Atmosphäre erhalten. Ein Game, das Trauer beinhaltet, wird die Tonart seines Soundtracks eher in Moll belassen.
Natürlich geht es auch aufwändiger. Einige Games haben für ihre Landschaften, NPCs und Charaktere eigene Melodien und Leitmotive. Ein Leitmotiv ist eine feste Tonabfolge, die immer wieder für ein Gebiet abgespielt wird, manchmal auch in Varation. Ein Game, bei dem diese Leitmotive fast überall verwendet werden, ist das Indie Game „Undertale“. Jedes Gebiet und jeder Charakter hat eine eigene Melodie, die beim Betreten oder in Dialogen erklingt. Beim Spielen mag einem das gar nicht so sehr auffallen, dennoch verbindet sich im Kopf die Melodie mit dem Charakter. So lassen sich auch Veränderungen erkennen. Wird der Charakter böse oder verrückt, lässt sich das manchmal durch akustische Veränderungen in diesen Leitmotiven erkennen.
b) Musik macht die Welt authentisch
Authentizität erreicht Musik dann, wenn sie zur couleur locale einer Szene beiträgt. Das bedeutet, dass die Umgebung und damit auch die Musik zum historischen oder lokalen Kontext passt. Für Mittelalterspiele wäre eine solche couleur locale dann durch Schlagwerk, Schalmei, Dudelsack und ähnlich Instrumente gegeben. Aber auch bekannte Spiele wie „Bioshock“ oder „Fallout“ wirken authentisch, indem sie ihren Soundtrack mit Songs aus der jeweiligen Epoche versehen, welche im Spiel oft durch Radios erklingen. Eine andere Möglichkeit ist, reale Künstler aus der populären Musik in das Spiel einzufügen, um dieses Gefühl der Realität zu erzeugen. Beispiele dafür sind der Auftritt von Ozzy Osbourne im Metal Game „Brütal Legend“ oder von der Band In Extremo im mittelalterlichen Klassiker „Gothic I“.
Funktion der Musik: Atmosphäre, Authentizität, Emotionalisierung
4. Musik beeinflusst die Welt und den Spieler
Natürlich kann der Soundtrack eines Games auch anderweitig eingesetzt werden. Als Spielmechanik, die entweder den Spieler direkt beeinflusst, oder durch den Spieler die Umgebung verändert.
Viele Gamer waren sicher schon in der Situation, von der Musik beeinflusst zu werden, haben es aber nicht bemerkt. Ein gern genutztes Mittel ist die Rhythmik. Das Spiel gaukelt durch schnelle Musik und hektische Rhythmen vor, dass die Situation besonders stressig und unübersichtlich ist. Auch wenn sie das tatsächlich nicht ist. Beispielsweise in Shootern ist bei einer Verletzung ein übertrieben lauter Puls zu hören, der mit Sicherheit nicht dem aktuellen Puls des Spielers entspricht. Dennoch lassen sich die Nutzer vor dem Bildschrim unterbewusst davon beeinflussen und werden dazu verleitet, unüberlegte Reaktionen zu zeigen. Daher fungiert die Musik als Spielmechanik, welchen den Schwierigkeitsgrad durch einfache Mittel künstlich steigern kann.
Andere Games nutzen Musik als Spielmechanik für den Fortschritt in der Story. Hierbei kann wieder „Brütal Legend“ als Beispiel genannt werden, wo der Protagonist verschiedene Metal-Solos erlernen muss, welche wiederum zur Öffnung von Portalen in andere Level benötigt werden. Ein anderes Beispiel ist „Zelda: Ocarina of Time“, worin die Melodie vervollständigt werden muss, um in der Geschichte voranzukommen.
Funktion der Musik: Spielmechanik durch und gegen den Nutzer
Noch nicht genug von Musik in Computerspielen erfahren? In den kommenden Artikeln werden wir uns sowohl mit der Immersion durch Computerspielmusik, als auch der Entwicklung der adaptiven Musik auseinandersetzen.
Literaturquellen:
Berndt, Axel: Im Dialog mit Musik: Zur Rolle der Musik im Computerspiel, in Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung, Ausgabe 9, 2013.
Fritsch, Melanie: Musik und Computerspiele, oder: Wie das „Ludo“ in die Musikologie kam, in Digitale Spiele Interdisziplinäre Perspektiven zu Diskursfeldern, Inszenierung und Musik, 2018.
Herzfeld, Georg: Atmospheres at Play: Aesthetical Considerations of Game Music, in Music and Game: Perspectives on a Popular Alliance, Hrsg. Peter Moormann, Springer VS, 2013.
Stingel-Voigt Yvonne: Soundtrack virtueller Welten – Musik in Videospielen, VWH Verlag, 2014.
Bildquellen:
Titelbild: unsplash.com Mark Cruz
Guitar Hero Arcade: unsplash.com Cassidy James Blaede
The Evil Within 2: eigener Screenshot
Fallout 4: eigener Screenshot
Brütal Legend: eigener Screenshot
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